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Interkulturalität ist mehr als bloßer Kulturtourismus, Kultur mehr als nur Folklore. Der Andere ist immer auch ein Ich. Die Kenntnis des Anderen ist wichtig für das Verständnis des Selbst. Der Nachbar erkennt sich nicht als ein Anderer, sondern als ein Selbst. Unsere Kenntnis des Anderen ist immer auch unsere Erkenntnis des Anderen. Interkulturalität darf nicht  ver-wechselt werden mit der eigenen Erkenntnis anderer Kulturen. Es kann nicht sein, daß spirituelle Nischen des Anderen geplündert werden, wie in der Vergangenheit materielle Nischen geplündert wurden. Eine wirklich verstandene Interkulturalität ist vielmehr der Vorgang einer wechselseitigen Vertiefung und Befruchtung und des Lernens von anderen Kulturen, ohne hierbei die eigene Identität preiszugeben.

Eine wahrhafte Interkulturalität kann nicht darin bestehen, nur die eigene Sphäre der Erkenntnis zu vergrößern, sondern darin, die eigentlichen Paradigmen zu erweitern, in denen ich denke. Ich muß lernen, die Paradigmen des Anderen zu verwenden, gerade seine bestimmte Wirklichkeit wie in einem Kristallisationsspiegel wahrzunehmen, um seine
Wirklichkeit zu verstehen, um letztlich auch die eigene Wirklichkeit zu begreifen. Gefordert ist folglich ein Wechsel der Linsen in aller Schärfe, gefordert ist das Vermögen, mit den Augen des Anderen zu urteilen (und nicht zu verurteilen), Menschen in einer vollständigeren Vision der Wirklichkeit zu erfassen, nicht eingekapselt in sich verharrend.

Daraus folgt die Forderung nach einer neuen Sicht, die man wohl am trefflichsten als ‚metapolitisch‘ bezeichnen könnte. Dieser Begriff erschließt sich aus den nur allzu unzureichenden gängigen politischen Kategorien. Das Metapolitische erzielt seine Bedeutung in der Einsicht, daß das Politische und das Spirituelle (das Transzendente schlechthin) nicht voneinander getrennt werden dürfen, sondern ein Ganzes konstituieren. Das Altertum kannte noch jene Ganzheit, jenes Zusammenwirken beider Ebenen. Der Mensch war mehr als ein vereinzeltes Individuum, das menschliche Wesen vermochte ohne die Polis nicht zu leben, eine Erlösung konnte nicht allein von der Politik erhofft werden. Das Metapolitische kann nicht nur in der Ausübung von Macht sich artikulieren, im Treffen von Entscheidungen, im Zweckrationalen. Vielmehr sind es die Kunst, die Literatur und die Wissenschaft, die mögliche Wege weisen, um die Ganzheit menschlichen Lebens zu finden. Die Götter waren immer auch die Götter der Stadt. Wenn sich Menschen entwurzelten, nahmen sie die Götter eine Wegstrecke mit und gründeten eine neue Stadt.

Lieber Hans-Jürgen Heinrichs, von deinen ersten Schriften bis zu deiner Reisepoesie hast du dich eingeschwungen in dieses ‚Metapolitische‘ in all seiner Tragweite. Ich erinnere mich noch an deine Schriften gegen die katastrophale Moderne, an deine zahlreichen Exkurse über das Fremde, das Reisen als Lebensmetapher, ja als Lebenselixier, als Daseinsgrund schlechthin. Du hast durch deine Arbeit den Beweis erbracht, daß sich menschlich-geistige Teilhabe dem Rhythmus der Wirklichkeit angleichen kann. Du hast in all deiner Arbeit den Menschen in jener Ganzheit zu erklären versucht. Du hast dich auch immer um eine Interkulturalität bemüht, die den Anderen und das Andere in seiner eigenen Wertigkeit nicht nur wahrnimmt, sondern achtet und hast in deiner Arbeit zu einer eigenen Homöostasis gefunden.

In deinem Verstehen von Interkulturalität lebt der Andere nicht nur durch verschiedene Weltsichten, sondern wirklich in anderen Welten. Du bleibst nicht Gefangener einer monotheistischen Perspektive, einer monokulturellen Sicht, sondern beziehst den Konflikt der Kosmologien immer mit ein. Du entgehst jedem Solipsismus, jeder Eingeschlossenheit, und zugleich vermeidest du auf der anderen Seite die Uniformierung. Du suchst Einheit und nicht Einheitlichkeit in der Weltzivilisation und forderst das eigentliche Dialogische Prinzip, einen dialogischen Dialog.

Dein Wunsch nach Harmonie ist folglich trinitarisch, sie kennt keinen Monarchen, kein höchstes Prinzip, keinen Monotheismus. Du forderst zu Recht die kulturelle Abrüstung, den Übergang von einer Kultur des Krieges zu einer Kultur des Friedens. Friede in diesem Sinne erfordert immer die Anerkennung des Pluralismus der Kulturen als Merkmal einer Jahrmillionen fortdauernden menschlichen Evolutionsgeschichte. Du erkennst in deinen Schriften, daß wir eine neue kulturelle Evolution erleben, gleichsam am Rande eines Quantensprungs stehen, am Übergang von einer Stufe der Zivilisation zu einer anderen. Aus deiner Arbeit spricht die Einsicht, daß die menschliche Geschichte einen weiten Weg
zurückgelegt hat von der Zivilisation eines Mythos, wie er die Steinzeitkulturen im Gleich-gewicht hielt, weiter über die Zivilisation des Theos (mit neuen Technologien zur Bearbeitung des Bodens und der Domestizierung der Haustiere und der Pflanzenwelt, welche die Mutter Erde den ‚himmlischen Göttern‘ unterordnete), bis hin zu einer Zivilisation des Logos mit seinen christlichen und später säkularen Zügen als dominante Variante der westlichen Zivilisation.

Die Stufe des Mythos bezog sich auf die Kultur des Paläolithikums und der neolithischen Gesellschaften, folglich Gesellschaften, die 99 Prozent der Geschichte des Sapiens umfassen.

Theos war die Maßgabe archaischer Zivilisationen wie der Babylonier, der Ägypter, der indischen und chinesischen Kulturen. Der rein tellurische Charakter der Kultur schwand, Könige beriefen sich auf eine göttliche Herkunft, die Kulturen wurden zunehmend von einem Pantheon von Gottheiten bevölkert. Wir erleben eine gestaffelte Hierarchie der Gottheiten.

Die Zivilisation des Theos ging um das zweite Jahrtausend vor Christus in eine Zivilisation des Logos über, als indogermanische Völker, ausgestattet mit Eisentechnologie, aus Zentralasien in verschiedene Richtungen ausschwärmten. Einige kamen über den Khyberpaß nach Indien, wo sie der bereits geschwächten Induszivilisation ein Ende bereiteten.

Die hellenistischen Philosophen ihrerseits ersetzten mythische Konzepte durch Theorien, die auf Beobachtung durch Verstandesfragen beruhten. Es entstand das heroische Denken, etwa bei Homer oder in den frühen epischen Dichtungen, was in ein visionäres und theoretisches Denken mündete, in die Forderung nach der Ratio. Logos wurde zum zentralen Konzept der graeco-römischen Zivilisation, die sich durch das moderne wissenschaftliche Denken potenzierte. Im 19. Jahrhundert vervollständigte Darwins Theorie der Evolution die mechanistische Weltsicht der klassischen Physik.

Lieber Hans-Jürgen Heinrichs, warum sage ich dies, warum dieser kurze Abriß?
Einfach, weil ich hinweisen möchte auf den zivilisatorischen Rang deiner Arbeit; auf die Einsicht, daß zu Beginn des 3. Jahrtausends der LOGOS nicht mehr das Ordnungsgefüge des Menschen aufrecht zu erhalten vermag. Die technologischen Innovationen beginnen sich gegen den Menschen zu wenden, Entwicklung wird zum Krebs, ‚kratos’, die reine Macht obsiegt. Und du wehrst dich vehement dagegen, in all deinen Schriften, gegen jene Technokratie, die seelenlos ist, die keine nachhaltige Entwicklung fördert durch die Aufgipfelung der technologischen Macht ohne jeglichen Maßstab. Du setzt in deiner Arbeit auf Qualitäten und nicht auf bloße Quantitäten, in denen sich der Mensch selbst zum Maß wird. Der logozentrischen Zivilisation widersprichst du entschieden.

Du stellst die auf kalte Ratio begründete Zivilisation in Frage, immer wieder, auf deiner Suche nach dem Fremden, das doch das Eigentliche ist, nach den zivilisatorischen Transforma-tionen, denen du nachspürst in einer globalen Welt. Du wirfst die entscheidenden Fragen auf, stellst das Spirituelle auf die Probe, bindest es ein. Dein Blick richtet sich auch auf die großen Gründerreligionen, Mythen und Kosmologien und ihre Bilderwelten.

Fragt man sich, was dich wirklich antreibt auf dieser Suche nach Alternativen einer Welt-zivilisation in ihrer Künftigkeit – gleichsam das innere Movens deiner weitverzweigten Arbeit –, stößt man auf einen Begriff, der mir bezeichnend zu sein scheint: die Einsicht in die Notwendigkeit einer Zivilisation des Holos.

Hier liegt ein Quantensprung zu Beginn des neuen Jahrtausends vor, nach dem Übergang vom Mythos zum Theos und weiter zum Logos, der für dich zu einem Ende kommt. Die Zivilisation des Holos, die du in Konturen siehst, die du forderst.

Das Leben ist mehr als Zufall für dich in der Geschichte der biologischen Evolution, das Universum ist ein lebendiger Organismus und mehr als totes Gestein. Zeit und Raum sind vereint in einer dynamischen Matrix. Der Mensch ist Teil der Biosphäre und verbindet sich in deiner Anthropologie mit dem Netz des Lebens auf dem Planeten. Vielleicht ließe sich von einer integralen Kultur sprechen, der du auf der Spur bist, die an vielen Außenstellen der Welt entsteht und eine neue Spiritualität erfordert, ein tieferes ökologisches Bewußtsein, das Menschen verbindet und nicht trennt, gleichsam eine Vogelperspektive, eine höhere Warte als gemeinsamer Hintergrund bei politischen und kulturellen Unterschieden.

Sucht man das Verbindende deiner Schriften, so ist es vielleicht diese Forderung nach Transformation im Lichte der Erkenntnis, daß nur die sich für dich abzeichnende Zivilisation des Holos die Wegstrecken wieder aufholen kann, die durch den reinen Logos und die bloße Ratio verlorengegangen sind. So wirst du zum Zeugen, aber auch zum Gestalter einer zivilisatorischen Wandlung der Geschichte durch deine Arbeit im Übergang vom Logos zum Holos. Gandhi sagte, die Menschen müssen selbst der Wandel sein, den sie in der Welt zu sehen wünschen. Du weißt, sich selbst zu ändern heißt, das Bewußtsein zu ändern, durch das man sich selbst, die Natur und letztlich das Universum sieht.

Andere Wege wurden für dich zwingend. Du zeichnest für das Zeitalter, das vor uns liegt, das vitale Zusammenwirken von Denken, Fühlen und Wissen nach. Du ordnest den Menschen Autorität zu, die ihnen auf Grund von Kompetenz verliehen wird und nicht durch reine Macht per se. Du stärkst die Autorität der inneren Quellen des Erkennens. Du willst das Voranschreiten der Trennungen zu Gunsten des Strebens nach Ganzheit aufheben, einer fundamentalen Ganzheit und Verbundenheit als Merkmal deines anthropologischen Entwurfs aller Aspekte der Wirklichkeit und der Erfahrung.

Lieber Hans-Jürgen Heinrichs, ich möchte schließen mit der Einsicht, daß letztlich dein Streben auf die Errichtung eines planetaren Bewußtseins, oder sollte man vielleicht besser sagen: auf ein neues spirituelles Bewußtsein von planetarer Weite gerichtet ist, daß du in der Evolution dieses planetaren Bewußtseins die größte Herausforderung der Menschheit
erkennst, der du dich immer wieder gewidmet hast. Ich wünsche dir von ganzem Herzen, daß du hier ein wesentliches Stück vorankommst, ich wünsche es dir – aber ich wünsche es auch uns allen – und hierfür danke ich dir sehr.